In den für die neuen Entwicklungen in der Gartenkunst wichtigen Jahren zu Anfang des neuen Jahrhunderts fehlte es in Geisenheim wesentlich an Verständnis für diese Vorgänge. Zu irgendeiner Teilnahme an den heftigen Auseinandersetzungen und Diskussionen im Zusammenhang mit dem Jugendstil kam es nicht. Nach dem Gartenfachmann Goethe hatte dessen Schwiegersohn, Dr. J. Wortmann [36], seit 1891 Leiter der pflanzenphysiologischen Versuchsstation, die Direktion der Anstalt übernommen. Sein Interesse an den gestalterischen Fächern war gering. Er überließ sie im wesentlichen den Allround-Gärtnern, die alles zu können glaubten und dabei von der alten, konventionellen Landschaftsgärtnerei nicht loskamen. Gegen Ende des ersten Jahrzehnts zeigte es sich jedoch, daß man gegenüber konkurrierenden Institutionen beträchtlich in Rückstand geriet. Trotzdem bedurfte es eines Anstoßes der Regierung in Berlin, ehe man bereit war, nach neuen Lösungen zu suchen. Aus Darmstadt, einer für die Entwicklung des Jugendstils wichtigen Stätte, holte man 1908 Dr. J. Hülsen [37], der dort an der Technischen Hochschule als Privatdozent tätig war, und beauftragte ihn mit Vorlesungen über "Gartenarchitektur und Gartenkunst" [38]. Gleichzeitig erhielt W. Goebel [39], Professor und Oberlehrer an der Königl. Baugewerkschule in Idstein, einen Lehrauftrag für Baukonstruktion, den er acht Jahre wahrnahm. Damit begann eine Kette von Lehraufträgen in diesem Fach, die bis in die Gegenwart reicht.
Da Dr. Hülsen bereits 1911 eine Berufung an die Kunstakademie Hanau erhielt, mußte eine bessere Lösung gefunden werden, als es Lehraufträge darstellten. Zunächst berief das Ministerium in Berlin einen anerkannten Fachmann, den Gartenarchitekten Reinhold Hoemann [40] aus Düsseldorf, in das Kuratorium der Anstalt. Damals hatte dieses Organ nicht nur schlichte Beraterfunktionen, sondern seine vier oder fünf Mitglieder, unter Vorsitz des für die Anstalt zuständigen Dezernenten im Ministerium, griffen energisch in die Leitung und Entwicklung der Lehranstalt ein. Der Direktor mußte dem Kuratorium jährlich Bericht erstatten, seine Mitglieder gaben Richtlinien und Hinweise für die Fortführung der Geschäfte, sie nahmen regelmäßig an den Prüfungen teil und entschieden über die Einstellung neuer Lehrkräfte. Hoemann gehörte zu den Pionieren der neuen Gartenkunst. Bereits 1902 zeigte er auf der Düsseldorfer Industrie- und Gewerbeausstellung den ersten Schrebergarten im Rheinland, dem bald darauf die ersten Dauerkleingartenanlagen folgten. An der Umwandlung des "Vereins deutscher Gartenkünstler" in die "Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst" (ein Symptom für die Ablösung des Landschaftsgartens der sogenannten "Lenné-Meyer'schen Schule") war er aktiv beteiligt und übernahm in den ersten Jahren die Schriftleitung der "Gartenkunst", des Verbandsorgans der neuen Gesellschaft. In seiner Berufsarbeit erwarb sich Hoemann einen Ruf als vorzüglicher Gartenarchitekt, vor allem aber auch als "Landschaftsanwalt", der in der Begrünung extremer Standorte, von Straßen, Wasserläufen und später auch Autobahnen frühzeitig die Aufgaben der Grünfachleute erkannte und erfüllte. Sein Amt im Kuratorium hat er gewissenhaft bis Anfang 1935, d. h. bis zur Durchsetzung des Führerprinzips an der Anstalt, wahrgenommen.
Das erste Ziel Hoemanns im Kuratorium war die Schaffung der neuen Planstelle eines Fachlehrers für Gartenkunst und dessen Auswahl und Berufung. Bis man sich auf den bestgeeigneten Mann geeinigt hatte, wurde als Nachfolger von Dr. Hülsen der Gartenarchitekt Julius Müller [41] aus Düren mit der einstweiligen Weiterführung des Unterrichts in Gartenarchitektur und Gartenkunst beauftragt. Zu seinem Unterrichtsdeputat gehörten neben den eben genannten Fächern auch Planzeichnen, Feldmessen und Nivellieren sowie Geschichte der Gartenkunust.
Auf die Ausschreibung der Stelle waren bis zum August 1912 über 20 Bewerbungen eingegangen. Das Kuratorium sah sich einem erstaunlich großen Angebot gegenüber und fühlte sich mit dessen Beurteilung überfordert. Deshalb wurde eine Kommission gebildet (Hoemann, A. Siebert, Direktor des Palmengartens, und Th. Müller, Langensuhr), die das Material sichten, d. h. die rund 160 eingereichten Pläne begutachten und eine Vorauswahl treffen sollte. Von den Bewerbern hatten neun ihre Ausbildung noch in Wildpark erhalten, sieben nannten bereits Berlin-Dahlem als ihre Ausbildungsstätte, zwei kamen jeweils aus Proskau bzw. aus Köstritz und einer der Bewerber war ein bekannter Kunstgeschichtler. Der älteste Bewerber war 40 Jahre alt und J. Müller-Düren, der sich ebenfalls bewarb, war mit 25 Jahren der jüngste Bewerber. Man entschied sich für einen der ältesten Kandidaten: Am 15.3.1913 übernahm Arthur Glogau [42] die vierte Fachlehrerstelle in Geisenheim für das Fachgebiet Gartenkunst und Gartenarchitektur.
Nach Schule und Lehrzeit in Thorn besuchte Glogau 1893/95 die Königl. Gärtner-Lehranstalt zu Wildpark bei Potsdam als Schüler F. Enckes und legte dort 1902 die Obergärtner-Prüfung ab. Von 1895 bis 1901 nahm er verschiedene Stellen in den Gartenämtern Lübeck, Magdeburg und Erfurt, bei verschiedenen Gartenarchitekten (darunter bei Gartenarchitekt Bertram in Dresden) und in einer Baumschule ein. Nach dieser systematischen, praktischen Weiterbildung arbeitete Glogau 5 Jahre in der Bonner Gartenverwaltung und von 1906 bis 1913 in der Gartendirektion Hannover. Schon früh begann er mit Veröffentlichungen in Fachzeitschriften: 1898/99 erschienen Arbeiten zur Geschichte der Gartenkunst [43] und über einen Zier- und Obstgarten vor 100 Jahren [44]. Im Jahre 1903 nutzte Glogau die 75jährige Wiederkehr des Tages, an dem Peter Josef Lenné als Direktor die königlichen Gärten in Potsdam und Umgebung übernahm, um dessen Verdienst für die Gartenkunst, vor allem aber auch dessen Wirksamkeit für die Verschönerung vieler Städte und ihrer Umgebung in einem "Gedenkblatt" zu feiern [45]. In verschiedenen folgenden Aufsätzen und Reden propagierte er dann eine Neuorientierung der Landesverschönerung durch Einbeziehung des Naturschutzgedankens. Wenn heute Fragen und Aufgaben der Landschaftspflege im Beruf des Garten- und Landschaftsarchitekten wieder eine wesentliche Rolle spielen, dann ist dafür neben G. Schoch, F. Encke und einigen anderen vor allem Glogau zu danken, der sich damals für diese Frage besonders intensiv einsetzte und damit Gedanken von H. Jäger [46] und K. Koch [47] wieder aufnahm. Als zeitweiliger Schriftführer der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst war er auch an den Gesetzentwürfen gegen die "Verunstaltung der Ortschaften und landschaftlich hervorragender Gegenden" wesentlich beteiligt [49]. Weitere Arbeiten (neben der Tagesarbeit in den Ämtern) beschäftigten sich mit Hausgärten [50], dem Naturtheater im Großen Garten zu Herrenhausen [51], mit zukünftiger Gartenkunst, mit Bäumen im Garten [52] oder mit dem Heimatschutz [53]. 1912 erschien die 1. Auflage einer Schrift über den Vorgarten und Balkonschmuck [54].