Zur Fahrradwoche 1986 im U-Bahnhof Schlesisches Tor hat der ADFC ein solches Routen-Netz für den Bezirk unter dem Motto "Abgasarm durch Kreuzberg" vorgestellt. Bei der Auswahl der Straßen wurde darauf geachtet, daß
Eigenständige Radwege innerhalb von Grünanlagen sind ideal zu befahren, aber in Kreuzberg nur an wenigen Stellen möglich. Bei der baulichen Gestaltung der ausgewählten Straßen sind den Bedürfnissen des Radverkehrs Vorrang vor denen des Kfz-Verkehrs einzuräumen.
Dazu die Empfehlungen der Forschungsgesellschaft: "Für selbständig geführte und für straßenbegleitende Velorouten, bei denen beide Fahrtrichtungen für den Radverkehr zusammengefaßt sind, gilt für die Breite ein Richtwert von 4,00 m.
Straßenbegleitende Velorouten sollten auf Fahrbahnniveau verlaufen. Die Trennung zur Fahrbahn erfolgt je nach Verkehrsbedeutung der angrenzenden Straße durch einen Grünstreifen oder durch eine Schwelle von mindestens 0,75m Breite, auf der auch Verkehrsschilder, Lichtmaste usw. aufgestellt werden können. Die Höhe dieser Schwelle und des Bordes zum Gehweg sollte 0,05m nicht überschreiten (Pedalfreiheit). Die Schutzstreifen (Grünstreifen oder Schwelle) müssen an Grundstückszufahrten abgesenkt sein. Velorouten sollten daher nach Möglichkeit an Straßenseiten mit möglichst wenig Grundstückszufahrten gelegt werden."
Solche Maßnahmen kommen in Kreuzberg kaum in Betracht. Die starke Mischung von Wohnen und Gewerbe bedeutet stark frequentierte Grundstückszufahrten in fast allen Straßen. Die sich ergebenden Konflikte unterscheiden sich dann kaum von denen bei herkömmlichen Radwegen. Entlang von Grünanlagen oder als Verlängerung eines selbständig durch eine Grünanlage geführten Radweges bietet sich diese Möglichkeit aber an. Beispielsweise am Kanalufer, in der Kreuzbergstraße und im Bereich der Südlichen Friedrichstadt.
Dazu die Empfehlungen der Forschungsgesellschaft:
"Fahrradstraßen sind Straßen, auf denen Radfahrer durch eine besondere Beschilderung Vorrang erhalten. Kraftfahrer dürfen sie nur als Anlieger benutzen, auf ihnen nicht schneller als Radfahrer fahren und diese nicht behindern. Die Möglichkeit einer solchen Beschilderung ist nach der StVO derzeit nicht gegeben. Ähnliche Wirkungen können zur Zeit durch die Beschilderung mit Zeichen 250 StVO und dem Zusatzschild 848 'Anlieger und Radfahrer (Sinnbild) frei' oder mit Zeichen 252 und dem Zusatzschild 803 'Anlieger frei' und Geschwindigkeitsbeschränkung auf höchstens 30km/h erzielt werden. Eine Bevorrechtigung der Radfahrer ist dadurch allerdings nicht zu erreichen. (...) Der Begriff 'Fahrradstraße' wurde in das Repertoire der Bestandteile von Radverkehrsnetzen aufgenommen, obwohl eine solche Möglichkeit nach der StVO derzeit nicht gegeben ist. Die ... als wünschenswert angesehene verstärkte Führung der Radfahrer auf verkehrsarmen Straßen macht es aber notwendig, daß die Radfahrer hier besonders bequem und sicher fahren können. Um dies zu erreichen, kann die Bevorrechtigung des Radverkehrs im Sinne der Fahrradstraße in Kombination mit entsprechenden baulichen Maßnahmen eine gute Möglichkeit sein."
Die meisten Straßen des vorgeschlagenen Routennetzes lassen sich ohne großen Aufwand entsprechend umgestalten. Wichtigstes Gestaltungskriterium ist die Reduzierung der Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs. Gerade optisch breite und wenig befahrene Straßen verleiten Autofahrer zu schnellem Fahren. Die in Ortschaften zulässige Höchstgeschwindigkeit ist als Regelgeschwindigkeit für Fahrradstraßen zu hoch.
Bei 50km/h (oben) hat der Autofahrer seinen Konzentrationspunkt etwa 40m vor der Stoßstange. Sein Blickfeld ist lang und eng. Nur die für das Fahren wichtigsten Dinge werden erkannt. Bei 30km/h (unten) ist das Blickfeld (schraffiert) wesentlich breiter. [6] Bei hoher Geschwindigkeit wird der Radfahrer nicht mehr dem Fahrverkehr zugeordnet - es wird vorbeigefahren'. Bei kleiner Geschwindigkeitsdifferenz zum Radfahrer wird dieser als 'Fahrzeug' wahrgenommen und 'überholt'. Den Unterschied kennt jeder Radfahrer: Schnelle Fahrzeuge fahren dicht vorbei, während langsame einen großen Bogen machen. Durch das dichte Vorbeifahren werden die Radfahrer an die parkenden Fahrzeuge herangedrängt. Beim Blick in den Rückspiegel werden sie dadurch leicht übersehen. So kommt es zu Unfällen durch sich öffnende Autotüren, die um so folgenschwerer sind, da der Sturz nach links direkt in den schnellen Fahrverkehr erfolgt. "Hohes Tempo läßt kaum Verständigungsmöglichkeiten zwischen Autofahrern ... und Radfahrern zu. Bei Tempo 30 können Gesten und Mimik gut wahrgenommen werden, es bleibt genug Zeit für gegenseitige Reaktionen." [7] Der Anhalteweg eines Autos verkürzt sich bei Tempo 30 auf weniger als die Hälfte gegenüber Tempo 50. Im Falle einer Kollision sind durch die kleinere Aufprallwucht die Unfallfolgen für den Radfahrer weniger schlimm.
Entsprechend der Empfehlung der Forschungsgesellschaft, Kraftfahrer sollen im gleichen Geschwindigkeitsbereich wie Radfahrer fahren, schlägt der ADFC eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 20km/h vor. Damit wird die besondere Situation einer Fahrradstraße gegenüber anderen Tempo-30-Zonen verdeutlicht. Im übrigen wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit immer um einen gewissen Prozentsatz überschritten.
An zweiter Stelle der Gestaltungskriterien steht die Führung des Radverkehrs an Knotenpunkten, insbesondere wenn die Route ein Linksabbiegen vorsieht. Möglichst lange Strecken sollten vorfahrtsberechtigt befahrbar sein.
Die vorgeschlagene Beschränkung des Nutzungsrechts der Straße durch Zeichen 250 oder 252 bringt verkehrsrechtliche Probleme mit sich: Voraussetzung ist die 'Erforderlichkeit', aus Gründen der Sicherheit oder Leichtigkeit des Fahrradverkehrs den Kfz-Verkehr auszuschließen. Dies dürfte für die Nachtstunden nur schwer nachzuweisen sein [12]. Eine zeitliche Beschränkung der genannten Ausschilderung ergibt keinen Sinn. Statt dessen sollte durch Abbiegeverbote, Diagonalsperren oder ähnliche Maßnahmen der Kfz-Verkehr auf ein Minimum beschränkt werden. Tempo 20 ist ein weiteres Mittel, Kraftfahrer zu veranlassen, die Fahrradstraße nur so weit als tatsächlich erforderlich zu benutzen.
Einige gepflasterte Abschnitte müssen - zumindest im Fahrbereich des Radverkehrs - einen neuen Fahrbahnbelag erhalten.